Allegra: Ich habe ihn gefunden, als ich losgelassen habe…

Hallo Bernadette,

Kurzes Update: Heute habe ich lang geschlagen. Dadurch, dass ich gestern so unfassbar viel nachgedacht habe, hat mein Körper das irgendwie gebraucht. Ich versuche fast schon denkend an die Lösung zu kommen, was mir jetzt so langsam auffällt, und weißt Du…

Was mir da bitter aufgefallen ist, ist zum einen dieses ständige Vergleichen, das fast schon automatisch geworden ist. Ich muss das eindämmen, in den Griff bekommen. Das bringt nichts, sich mit anderen zu vergleichen. Ob jetzt jemand im Museum arbeitet oder sonst wo…Ich fand Museem schon immer schrecklich langweilig; ob jemand ein Stipendium bekommen hat, um im Museum oder im Institut bei reichen Leuten ein paar Semester zu verbringen… Es bringt nichts, mich zu vergleichen. Das kann mir im Prinzip egal sein. Ich hatte ein anderes Leben und das ist einmalig und einzigartig. Und das muss ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufen. Aber ich muss ehrlich sagen, dass ich stolz darauf bin, dass ich nicht in so ein Loch reinratter. Und ich weiß, wie das ist, wenn man in ein Loch reinfällt….Ich packe das inzwischen so an: Es muss so kommen, das ist ein Stadium, das ich jetzt brauche. Ich reflektiere diese Situation jetzt aufrichtig und ehrlich.

Ich bin heute um 6 Uhr wach geworden, ich musste husten und nießen. Ich habe kurz gelüftet und vor meinem Fenster ist so eine Birke. Gerade sind die Frühblütler dran, Birke, Erle und Hasel. Ich habe so richtige Schübe. Ich war nie gegen irgendetwas allergisch, gegen Pollen oder so. Ich denke eher: Irgendetwas muss raus. Das war schon letztes Jahr so, als ich die Probleme mit der Kollegin hatte, und dieses Jahr habe ich das wieder. Und ich bin kein Pollenallergiker. Man kann denken, was man will. Zusammenhänge soll es geben oder nicht, aber…

Schließlich bin ich um 13 Uhr aufgestanden. Vorher ich war noch richtig müde und erst dann erholt. Gestern war ich doch nicht mehr im Fitnessstudio, weil ich so viel nachdenken musste, wirklich furchtbar. Aber dann um 13 Uhr war ich ausgeruht und erholt. Ich habe das Jahr kurz reflektiert. Ich kann dir das auch aufschreiben, aber ich sag´s dir lieber so.

Letztes Jahr im Januar, oder besser gesagt Ende Dezember ´22 hatte ich ein misslungenes Date mit einem Steuerberater, den ich über eine App kennengelernt habe. Dieser Klaus, von dem ich dir im Sommer erzählt habe, der sich nicht mehr gemeldet hat. Damals wollte ich noch alles selbst alles in die Hand nehmen, noch die Liebe fürs Leben kennenlernen. Da musste ich mit abschließen. Im Februar habe ich einen anderen Mann kennengelernt, einen Oberarzt, der zwei Kindern von zwei unterschiedlichen Frauen hatte, aber ich habe gedacht, ja mei… Wir waren einmal zusammen in Berlin. Ich wusste, dass er weder mein Typ noch irgendwer ist. Ich wusste genau, dass es nicht mein Typ ist. Aber ich habe es bis April aufrecht erhalten, weil ich mir trotzdem, fast schon resigniert und traurig, gesagt habe: Aber mei, besser als nix. Wenn es nur das ist, was ich im Leben kriege, dann sei es so…Und dann im April, über Ostern, habe ich mir gesagt: Ich muss ihm jeden Tag schreiben und er meldet sich sonst nie. Ich habe dann aufgehört zu schreiben. Und er hat sich nie wieder bei mir gemeldet. Jetzt realisierte ich wie einseitig das Ganze war. Und schon wieder war ich auf jemanden reingefallen, der mich nur für seine Bedürfnisse ausnutzten. Ab dann habe ich gedacht: Jetzt lasse ich alles ruhen, wie es ist. – Aber durch meine Ungeduld habe ich mich dann doch wieder bei so einer App angemeldet. Und dann habe ich noch mit mit zwei, drei Typen gedatet. Alle mit so wenig Respekt… Einer wollte direkt mit mir schlafen, einer Freundschaft +. Und dann habe ich einen Typen im englischen Garten getroffen, das war sehr ernüchternd. Auch wieder so ein konträrer Typ, der gleich über meine Arbeit geurteilt hat, nachdem er erfahren hat, was ich mache und insgesamt nur komische und negative Bemerkungen gemacht hat. Genau die Männer, die ich immer angezogen habe, als ich so ein niedriges Selbstwertgefühl hatte. Wieder so ein Typ wie Karl (Allegras Exmann), nur noch schlimmer. Extrem neidisch, so ein Prolet. Dem habe ich schon viel zu viel über mich erzählt, einem gänzlich Fremden, das war nicht nötig.

Da bin ich in mich gegangen: So, Allegra, all das muss erst einmal sacken und ruhen. Ich bin nicht in der Lage, die Liebe meine Leben selbst in meinen Bann zu ziehen, auf Biegen und Brechen, durch irgendwo Anmelden oder Suchen. Es ist etwas, was ich zwar suchen, aber auf diesem Weg nicht finden kann. Hierfür ist ein viel höherer, außergewöhnlicher Weg vorgeschrieben. Es ist plötzlich spürbar. Und dann habe ich mich wieder abgemeldet, wirklich von allen Apps und Seiten. Ich bin dann im Sommer nach X zu meinem Vater. Zu der Zeit hatten wir schon die Sitzungen, die mir so gut getan haben, wo Du mir immer gesagt hast: „Erst metabolisieren, Allegra!“ Das hat so viel mit meiner Psyche gemacht und getan und bewirkt. In X bin ich von so einem super hübschen Jogger angesprochen worden – allein dadurch, dass ich angefangen habe, die Menschen anzuschauen, Blickkontakt, wie du immer sagst. Er hat dann Hallo gesagt. Und ich auch und bin dann weiter, so wie er. Aber trotzdem: Einfach so, das Leben, die Leichtigkeit, das Schöne. Das Sein! Langsam, aber sicher merkte ich, dass diese Auseinandersetzung mit mir selbst so heilsam war, nicht erzwungen, sie hatte nichts mit Egoismus zu tun, nichts mit Schwäche, Scham oder Schuld, sie fand in mir und nur in mir statt und war völlig losgelöst von sozialen Konventionen. Es war das Eintauchen in mein Innerstes, welches ich so lange nicht gekannt habe und bisher fast immer bereitwillig wäre, es gegen etwas anderes einzutauschen, nur um schnell in die Arme eines Mannes zu fallen, dem ich so gefallen würde und somit endlich angenommen worden wäre. Und doch spürte ich immer wieder, dass mir etwas fehlte, dass ich nicht echt war, ich war es, die mir untersagt hatte, zu mir zu stehen. Es flossen viele Tränen, bis ich merkte, wie befreit ich jetzt war, nachdem ich alle diese Schichten abgetragen habe durch diesen tiefen Blick nach innen. Plötzlich genoss ich jedes leichte Windchen am Meer, die Zeit, ich hatte keine Eile und keine Unruhe mehr in mir. Die Ungeduld wegen der tickenden biologischen Uhr und die Trauer über das Vergangene, über die Fehlgriffe, die ich mir selber aufzwängen wollte, waren weg. Ich lächelte und machte meine Augen vor der Nachmittagssonne zu. Ich lies los.

Mich hat im Sommer noch die Verlobte meines Bruders gefragt, ob ich irgendwie auf der Suche bin oder jemanden Neues an meiner Seite habe. Ich habe gesagt: Ne, ich bin glücklich mit mir selbst. Ich bin, wie ich bin. Was kommen soll, soll kommen. Aber ich jage nix mehr, ich suche nicht mehr nach irgendetwas.

Und wirklich, heute im Halbschlaf fiel es mir Schuppen von den Augen, wie ein Blitz, der mich getroffen hat. Ich habe einen wunderschönen Sommer in X verbracht, und dann natürlich zurück in meine komische Arbeit, den Alltag und so…Und dann war das Oktoberfest und das war eine so erfrischende Abwechslung. Und auf einmal steht der Ludwig vor mir. Ich habe nichts mehr gesucht, gehofft oder bezweckt, mit hingehen und so. Ich war nur auf den Wiesn (=Oktoberfest), einfach für mich, einfach um zu tanzen und für mich zu sein. Und dann: Blickkontakt, aufmerksam sein auf die Außenwelt. Ich bin nicht allein, ich brauche keinen Partner, um vollkommen zu sein.

Und so kommt es jetzt, dass ich diesen Weggefährten habe, den Ludwig, der eine wunderbare Stütze für mich ist. Und das hält jetzt schon fünf Monate so! Einfach dieses Loslassen, nichts mehr bezwecken wollen mit sich irgendwo anmelden. Oder dieses sich sagen: Es muss unbedingt sein! Er muss unbedingt so sein. Da bin ich echt zu mir gekommen. Und dann war ich zum ersten Mal 100% ich, im Vergleich zu den anderen Beziehungen und Dates. Im September war ich noch auf einem so schönen Festival, tanzen mit einer Freundin und ein paar Tage später waren die Wiesn und ich war wieder tanzen und dann ist es passiert!

Es waren diese schönen Sitzungen mit dir und die BEI (Bewusste Erforschung des Inneren) im Sommer, und all das hat heute so in mir gearbeitet, was ich in all dem sehe, was da in mir hochkam, wie ich mich sehe …das alles hat heute Klick gemacht.

Ich arbeite ja jetzt mit Dir ja an einem ganz anderen Thema, in Bezug auf Beruf. Gestern habe ich noch Notizen ohne Ende gemacht. Aber heute bin ich aufgewacht, und plötzlich wurde mir das so vor Augen geführt wie ein Film, dieser ganze Zyklus mit den Beziehungen. Ich weiß jetzt nicht, wer das war. Das Unbewusste oder so, das mir das ins Bewusstsein gerufen hat. Werde dir bewusst: In dem Moment, wo du aufgehört hast, verkrampft zu suchen, auf Biegen und Brechen. Sondern da, wo du in dich rein gehorcht hast, ruhig wurdest, immer ruhiger, da kam das Richtige in deinen Bann. Und das hätte ich bis heute nicht mit irgendwelchen Mitteln herbeiführen können. Sondern einfach nur 100% original sein, sich spüren.

Und genau dasselbe will ich jetzt auch in meinem Beruf. Ich habe mir nämlich nie die Zeit genommen, mal runterzukommen und zu sagen: Ja, ich muss Geld verdienen! Ich weiß, ich muss das… Aber wo? Wer bin ich wirklich? Was ist Arbeit für mich? Diese Berufung, dieses Hören, Schauen, Probieren… Sondern immer nur gehetzt, hier Praktikum, da Werkstudent, dann wieder da Werkstudent, dann hier Festanstellung, aber hirnlos, immer nur JA sagen, immer Dinge aushalten, die nicht mehr auszuhalten waren und so weiter…

Auf jeden Fall kam mir das heute wie ein Kurzfilm, der mir gezeigt wurde, da war all das vor meinen Augen. Vom Unterbewusstsein ins Bewusstsein. Das wollte ich in Worte fassen. Und ich wollte dir das unbedingt mitteilen, denn da hast du mir so sehr geholfen, das herauszuarbeiten: Das Leben KANN in eine ganz andere Richtung gehen. In dem Moment, wo ich sage: Nicht das, was außen ist, zählt, muss ich beachten. Sondern was immer schon in mir drin war, ich muss einfach leise sein, die Stimmen von drumherum ausblenden, damit das Innere sprechen kann und ich es hören kann. Ich sehe nun die ersten Sterne in meinem inneren Horizont, die ich sonst nicht hätte sehen können, hätte ich nicht langsam Schicht um Schicht die zahlreichen Auferlegungen der Außenwelt akribisch abgetragen. Ich sage nicht, dass es zu Ende ist, ich sehe mein Leben nun viel mehr als organischen Prozess, den nur ich beeinflussen kann – in jegliche Richtung. Ich halte es in meinen Händen. Ich weiß nun viel mehr, dass ich Zeit brauche, um „ich zu werden“, in meinem eigenen Tempo, geführt von mir, unter meinen eigenen Regeln.

Ich gehe jetzt erst einmal einen Spaziergang machen. Wir sehen uns eh morgen. Bis dann, Bernadette!

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