#kleineSchritte

Ein Urlaub am anderen Ende Europas, der nicht stattfinden konnte, eine Konzertreise, die ausfallen musste, die Sehnsucht nach dem Onkel oder der Tante in der „zweiten Heimat“: Die allermeisten der 49 Beiträge, die beim Wettbewerb #Kleine Schritte der Europäischen Kommission eingegangen waren, hatten ein Thema: die Einschränkung der Reisemöglichkeiten in Zeiten der Pandemie.

Aber nicht nur als Verlust an Freiheit wurde dieses Herunterbremsen der Mobilität in Europa empfunden, sondern auch als Möglichkeitsraum. Als erzwungene Chance, darüber nachzudenken, wie wir leben, was wir an diesem Leben ändern wollen, wie wichtig Mitmenschlichkeit und Solidarität sind.

Zu den großen Gewinnern gehört Suvathi Jeyakumar mit ihrem Artikel Jeder sehnt sich nach vielem

Eine der Personen, die Suvathi begleiteten, ließ sich von MAP inspirieren. Vieles von dem, was Suvathi beschreibt, passt zu MAP: Die Sehnsucht nach einem Puzzleteil, von man spürt, dass es fehlt; das existenzielle Bedürfnis, dass einem zugehört wird, ohne dass man verurteilt wird, um das Beste aus sich herausholen zu können… oder auch der Kommentar von Uwe Rada, der sagt, man müsse auf seine innere Stimme hören und es wagen, neue Räume zu betreten.

Jeder sehnt sich nach vielem

Jeder sehnt sich nach vielem, nach Geld oder einem tollen Auto oder nach etwas Größerem und existentiell Wichtigerem, wie Menschen, die im Leben fehlen. Wie ein kleines Puzzlestück, von dem wir denken, dass dieser Teil wichtig ist, um uns zu vervollständigen. Ich sehnte mich mein ganzes Leben nach jemandem, der mir Liebe geben konnte. Eine Aufgabe für die Familie, aber meine gab mir stattdessen eine andere Art Zuneigung: Sie gaben mir Geschenke, obwohl ich nur Unterstützung verlangte: Support, ich selber zu sein, aber stattdessen musste ich ein tamilisches Mädchen sein, das tanzen und kochen können musste. Respektvoll gegenüber anderen, egal was sie einem antaten.

Aber ich war nicht so. Die einzigen Menschen, die mich so mochten wie ich war, waren meine Freunde und Lehrer aus der Schule, mit denen ich immer lachen konnte und die Schule wurde mein Zuhause. Aber dann, 2020 am 13. März, fing aufgrund von Corona der Lockdown an. Ich war gefangen und am Boden, wie die Scherben eines Spiegels. Ich wurde zu einem Mond, der nach außen hin strahlte, aber Kälte in sich trug. „Wenn du ein Problem hast, löse es selber; du brauchst keine Hilfe von Freunden.” Das war einer von vielen “Lebenstipps”, die mir gegeben wurden. Ich erkannte, dass es nichts nützt, so zu leben und ließ mir helfen, indem ich mich an Vertrauenspersonen wandte. Ich habe eine Ideologie zerbrochen, in der nicht nur ich, sondern viele andere Mädchen und Frauen gefangen sind. Ich habe eine stärkere Familie, eine Gemeinschaft aufgebaut, die mich unterstützt, ich selbst zu sein. Nicht nur ich habe den Wunsch, sondern viele in Europa wünschen sich diesen Zusammenhalt, wünschen sich Gemeinschaft. Alles, was ich mir ersehnt habe, war schon in mir und um mich und dank Corona habe ich mich mit dem jahrelang in mir herrschenden Schmerz konfrontiert und mich auf den richtigen Weg geführt. Es gibt auf der ganzen Welt Menschen wie mich, die in sich Schmerz tragen, sich aber aufgrund der Gesellschaft nicht trauen, auf ihre Sehnsucht zu hören und sich ihr zu stellen.

Suvathi Jeyakumar 

#kleineSchritte #EuropäischeKommission #DeutschlandNRW #Sehnsucht #Vertrauen #Freunde #Freiheit #Liebe #EinLächeln

Instagram: suvathi15_jk 

Anmerkung Uwe Rada

Der Beitrag von Suvathi Jeyakumar(geboren 2005) ist mutig und ermutigend. Mutig, weil die Autorin mit ihrer Kritik an der Familie eine Grenze überschreitet, die ihr durch eine „Ideologie“, wie sie selbst schreibt, gesetzt war. Aber erst durch diese Grenzüberschreitung kann sie den beengten Raum verlassen und in einen neuen Raum treten, in dem sie sich zuhause fühlt, weil sie nicht mehr sein muss, was andere von ihr verlangen. Die Autorin zeigt nicht nur, wie wichtig Schule für all jene ist, die an der Enge und am Unverständnis der Familie leiden. Ihr Text ist auch ein leidenschaftlicher Appell, auf die innere Stimme zu hören und sich zu trauen, neue Räume zu betreten. Literatur als Empowerment.

Uwe Rada

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