Einsamkeit vs. Allein-sein-können

Letztens im Auto: Jeder darf seinen Lieblingssong auf Youtube raussuchen. So vergeht die Zeit ziemlich kurzweilig – und außerdem lernt man viele gute neue (oder alte!) Songs kennen (ganz abgesehen vom Geschmack seiner Mitfahrer). Und dann die Entdeckung: Fango von Jovanotti. Geniale Stimme, italienischer Flair und dazu einige Zeilen, die mich nachdenklich machen…

„Io lo so che non sono solo, anche quando sono solo…“ „Ich weiß, dass ich nicht allein bin, auch wenn ich den Eindruck habe, ich wäre allein.“ Dieser Einsamkeit begegne ich in Gesprächen oft. Ich glaube, dass diese Erfahrung zu den schlimmsten Erfahrungen gehört, die ein Mensch machen kann. Was ist das eigentlich, was einen Menschen dann so trifft? Warum schmerzt uns das Sich-allein-fühlen so sehr – und das kann man übrigens auch erleben, obwohl man von hunderten oder auch ganz lieben Menschen umgeben ist?

Sicherlich, weil es tief unserem Innersten widerspricht. Wir möchten teilen, wir möchten von jemandem verstanden, angesehen, geliebt werden. Mensch-sein heißt ein einzigartiges Wesen mit einer schillernden Innenwelt zu haben, das durch den Austausch bereichert wird. Freude und Schmerz, Nachdenkliches und Heiteres empfinden und mitteilen können, der ganz besonderer Blickwinkel…das soll verloren sein, weil es niemanden gibt, dem das mitgeteilt werden könnte? Ist das nicht schrecklich?

Jovanotti sagt: Nein! Er hebt seinen Blick und schaut…auf die Sterne, auf Städte, in denen Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Geschichte leben. Es kommt nicht darauf an, ob ich es jemandem mitteilen kann – auch wenn das sicherlich schön wäre. Vielleicht geht Jovanotti wie Schiller in seiner Ode an die Freude davon aus:  „Brüder – überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.“ Wenn er von einem Menschen spricht, der sich daran erinnert, wie er an der Hand seines Vaters die Welt zu entdecken begann, kommt einem das so vor. Kann sein. 

Aber zuallererst kommt es darauf an, dass ich es empfinden kann, es mir selber mit-teilen und genießen kann, denn ohne Ich kein Du. Und das hat mich an eine Grunderfahrung von MAP erinnert: Dass ich zuerst einmal (wieder) mit mir in Beziehung treten lernen muss…und es kommt darauf an, dass ich diese Beziehung weiter pflege. Dass ich lerne zu schauen, worüber ich mich freue, was mir auffällt, worüber ich mich wundere oder was mich anrührt. Mir die Tränen kommen lässt. – Ganz ehrlich – wer von uns kann das, besser gesagt: Wer kennt sich selber so gut, dass er oder sie nicht immer wieder überrascht ist, von den Menschen, Gegebenheiten und Gegensätzen, die wir um uns entdecken, wenn wir nicht urteilen (Seriously? Ein Sozialistisches Zeltlager in Essen, wie in der guten alten Zeit? – Neeeee! Diese junge Frau hat an den bayrischen Meisterschaften teilgenommen – im Florettfechten???), sondern auch, wenn es mir schwer fällt, irgendwo alleine zu sitzen und zu sehen, wie Menden der Stadt um mich miteinander reden, schmusen, Musik hören, etwas trinken…Wenn ich Erwartungen habe, wie ich eigentlich gerne hätte, dass mein Leben ist, gebe ich dem Augenblick keine Chance. Innehalten, trotz innerem Schmerz braucht…mein „Metabolisieren“, die Verarbeitung des Schmerzes. „Nur wer seine Erwartungen los lässt, hat die Hände frei für das, was vor einem liegt“, las ich vor kurzem.

„Che l’unico pericolo che senti veramente, è quello di non riuscire più a sentire niente,di non riuscire più a sentire niente.“ „Aber die einzige Gefahr, die ich spüre, ist nicht mehr in der Lage sein, etwas spüren zu können.“  Was ich immer wieder merke: Diese Offenheit, von der Jovanotti singt, fehlt vielen Menschen, weil sie vor lauter Einsamkeit in Panik verfallen. Erwartungen haben, was sie eigentlich gerne hätten oder was sie vermissen. Das schränkt unsere Wahr-nehmung ein. Man wird bitter und vor allem unsensibel auf die konkrete Umgebung. Voll Hetzte und Unruhe begibt man sich auf die Suche nach einer Ersatzlösung, wie oft zu einer Ersatzbefriedigung. Oder klagt. Die Angst führt zu einem Tunnelblick. Man spricht von Anonymität. Vielleicht reagiert man auch mit Neid…Stattdessen ermöglicht die Wahl des Allein-seins Freiheit. Wer eine Partnerschaft vermisst, hat vielleicht keinen festen Partner – aber doch viele Freundschaften und in jedem Fall die Möglichkeit vieler Begegnungen. Das Gespräch mit der älteren Dame, die mitten im Lockdown auf einer Parkbank stattfand, die mit ihren 87 Jahre Erfahrung meinte: „Also – wenn die uns jetzt die Fähigkeit zu genießen nähmen – dann hätten sie uns wirklich alles genommen!“ – an welchen Erfahrungen und Weisheiten kann ich trotzdem teilhaben und mich austauschen! Und tatsächlich, danke, unbekannte Dame: Auf das Wählen und Genießen kommt es an!

Keine Frage: Allein sein ist nicht leicht. Aber wenn ich nie gelernt habe, allein sein zu können, kann auch jede Beziehung zu einer Form der Einsamkeit gelangen…

Laut Fango geht es darum, die Einsamkeit wirklich zu spüren, sozusagen in sie zu gehen. Sie dann zunächst einmal zu akzeptieren und dann sogar zu bejahen. Mehr noch: Sie mit Neugier zu entdecken. Und damit die Optionen, die sich mir allein aufgrund dieses Allein-seins auftun, zu erkunden. Welche (kleinen) Projekte möchte ich entwickeln?

Und damit kommen wir – wieder einmal – an eine wichtige Komponente, nämlich die der…Zeit. Ich merke, dass viele Menschen, die unter dem Sammelbegriff AD(H)S leiden, aufgrund der innerlich verspürten Unsicherheit wirklich große Schwierigkeiten haben, diese Zeit zu investieren und auszuhalten – und einfach einmal der Angst, der Unsicherheit, dem Mangel an Eigenliebe und Einsamkeit auf den Grund zu gehen. Warum? 

Sicherlich, weil es sehr schwer ist, VOM KOPF her eine Lösung zu finden. Ein reiner Verhaltenskodex hilft hier kaum. Letztlich findet man erst wirklichen Frieden und Zufriedenheit mit sich selber, wenn man IN SICH schaut, mehr noch, bei sich selber zu Besuch ist, und das häufig. In MAP bieten wir dabei Hilfe an, indem wir gemeinsam in die subjektiv signifikante Vorgeschichte schauen. Und von hier aus – ausgehend von der inneren Welt, in der Einsamkeit meist schon früh erfahren wurde, kann sie sich dann aber auch in die Stärke des Allein-sein-könnens verwandeln.

Diese Fähigkeit ist ein großer Schatz. Mehr als nur ein Mangel, ein Armutszeugnis oder ein Scheitern. Sondern vielmehr…die Eintrittskarte in ein buntes Universum voller Möglichkeiten und Begegnungen: Wir neigen dazu, das ICH zu streichen. Nur die anderen, also was sie sagen und denken. Nur den Himmel besingen. Aber Fango heißt eben: Schlamm, und auch den gilt es, wirklich zu spüren. Laut Jovanotti besteht die größte Gefahr der Menschheit, die Vielschichtigkeit meiner Empfindungen unbeachtet zu lassen. Aber mein Ich ist die Bedingung für das Du, das Ihr und das Wir. Und so entsteht eine sehr reiche, einzigartige Persönlichkeit, die sich selber gern hat. Und liebenswert ist.

P.S.

Fango – Jovanotti   Io lo so che non sono solo 
Anche quando sono solo 
Io lo so che non sono solo 
Io lo so che non sono solo 
Anche quando sono solo  Sotto un cielo di stelle e di satelliti 
Tra I colpevoli le vittime e I superstiti 
Un cane abbaia alla luna 
Un uomo guarda la sua mano 
Sembra quella di suo padre 
Quando da bambino 
Lo prendeva come niente e lo sollevava su 
Era bello il panorama visto dall’alto 
Si gettava sulle cose prima del pensiero 
La sua mano era piccina ma afferrava il mondo intero 
Ora la città è un film straniero senza sottotitoli 
Le scale da salire sono scivoli, scivoli, scivoli 
Il ghiaccio sulle cose 
La tele dice che le strade son pericolose 
Ma l’unico pericolo che sento veramente 
È quello di non riuscire più a sentire niente 
Il profumo dei fiori l’odore della città 
Il suono dei motorini il sapore della pizza 
Le lacrime di una mamma le idee di uno studente 
Gli incroci possibili in una piazza 
Di stare con le antenne alzate verso il cielo 
Io lo so che non sono solo  Io lo so che non sono solo 
Anche quando sono solo 
Io lo so che non sono solo 
E rido e piango e mi fondo con il cielo e con il fango 
Io lo so che non sono solo 
Anche quando sono solo 
Io lo so che non sono solo 
E rido e piango e mi fondo con il cielo e con il fango    La città un film straniero senza sottotitoli 
Una pentola che cuoce pezzi di dialoghi 
Come stai quanto costa che ore sono 
Che succede che si dice chi ci crede 
E allora ci si vede 
Ci si sente soli dalla parte del bersaglio 
E diventi un appestato quando fai uno sbaglio 
Un cartello di sei metri dice tutto è intorno a te 
Ma ti guardi intorno e invece non c’è niente 
Un mondo vecchio che sta insieme solo grazie a quelli che 
Hanno ancora il coraggio di innamorarsi 
E una musica che pompa sangue nelle vene 
E che fa venire voglia di svegliarsi e di alzarsi 
Smettere di lamentarsi 
Che l’unico pericolo che senti veramente 
È quello di non riuscire più a sentire niente 
Di non riuscire più a sentire niente 
Il battito di un cuore dentro al petto 
La passione che fa crescere un progetto 
L’appetito la sete l’evoluzione in atto 
L’energia che si scatena in un contatto  Io lo so che non sono solo 
Anche quando sono solo 
Io lo so che non sono solo 
E rido e piango e mi fondo con il cielo e con il fango 
Io lo so che non sono solo 
Anche quando sono solo 
Io lo so che nn sono solo 
E rido e piango e mi fondo con il cielo e con il fango  E mi fondo con il cielo e con il fango  E mi fondo con il cielo e con il fango
Jovanotti – Schlamm

Ich weiß, ich bin nicht allein
Auch wenn ich alleine bin
Ich weiß, ich bin nicht allein
Ich weiß, ich bin nicht allein
Auch wenn ich alleine bin

Unter einem Himmel von Sternen und Satelliten
Unter den Tätern, Opfer und Überlebenden
Ein Hund bellt den Mond an
Ein Mann schaut auf seine Hand

Es scheint ,als die von seinem Vater, als er ihm als Kind
ganz leicht nahm und ihn hoch hob
von oben aus war die Aussicht sehr schön
Er warf sich auf Dinge vor dem Denken

Seine Hand war winzig, aber packte die ganze Welt
Nun ist die Stadt ein ausländischer Film ohne Untertitel
Die Treppen sind Rutschen zu steigen, Rutschen Rutschen
Eis auf Dinge Das TV sagt, dass die Straßen gefährlich sind
Aber die einzige Gefahr, die ich spüre,
ist nicht mehr in der Lage sein, etwas spüren zu können
Den Duft der Blumen, den Geruch der Stadt
den Geräusch von den Rollern, den Geschmack einer Pizza

Die Tränen eine Mutter, die Ideen eines Schulers
die mögliche Begegnungen auf einem Platz
Und mit offenen Ohren auf den Himmel bleiben

Ich weiß, ich bin nicht allein

Ich weiß, ich bin nicht allein
Auch wenn ich alleine bin
Ich weiß, ich bin nicht allein

Ich lache und weine
ich verschmelze mich mit Himmel und Schlamm

Ich weiß, ich bin nicht allein

Ich weiß, ich bin nicht allein
Auch wenn ich alleine bin
Ich weiß, ich bin nicht allein

Ich lache und weine
ich verschmelze mich mit Himmel und Schlamm



Die Stadt ist ein ausländischer Film ohne Untertitel
Ein Topf, die Teile von Dialogen kocht
Wie geht es dir?Wie viel kostet es? Wie spät ist es?Was ist passiert?
Wie läuft es? Wer glaubt daran
Wir sehen uns dann!

Man fühlt sich einsam als Zielperson
Man wird zum Pestkranker wenn man Fehler macht
Ein sechs Meter großer Schild zeigt,
„Es ist alles um dich herum“
Aber man schaut sich um und dagegen gibt es nichts

Eine alte Welt, die gerade noch dank derjenigen zusammenhält, die sich trauen, sich zu verlieben
Und eine Musik, die Blut in die Adern pumpt
bringt uns dazu, aufwachen und aufstehen zu wollen
und aufhören zu jammern

Weil die einzige Gefahr, die ich spüre,
ist nicht mehr in der Lage sein, etwas spüren zu können
etwas spüren zu können

Den Herzschlag in der Brust
Die Leidenschaft, die ein Projekt wachsen lässt
Den Appetit, den Durst, die Evolution
Die bei einer Kollision frei werdende Energie

Ich weiß, ich bin nicht allein
Auch wenn ich alleine bin
Ich weiß, ich bin nicht allein

Ich lache und weine
ich verschmelze mich mit Himmel und Schlamm

Ich weiß, ich bin nicht allein
Auch wenn ich alleine bin
Ich weiß, ich bin nicht allein

Ich lache und weine
ich verschmelze mich mit Himmel und Schlamm
Ich lache und weine
ich verschmelze mich mit Himmel und Schlamm

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