Der Blick nach innen.

Tura verletzte sich beim Turnen am Fuß: Sie rutschte aus und klagte über Schmerzen an der Außenseite ihrer rechten Fußsohle.

Obwohl alles Übliche unternommen wurde, was helfen kann: Kühlen, entzündungshemmende Cremes, Massagen, Dehnübungen und so weiter. Nichts. Ihr machte der Fuß weiterhin zu schaffen, und zeitweise hinkte sie deswegen. Auf einen Fuß kann man schlecht verzichten – dauernd nutzt man ihn. Je nachdem, was Tura machte und wie motivierend oder attraktiv das jeweils war, erinnerte sie sich plötzlich an ihre Schmerzen oder aber verhielt sich völlig normal. Manchmal war sie sogar in der Lage zu tanzen, ohne sich zu beschweren oder irgendetwas zu bemerken….Einige Wochen ging es so hin und her. Ihre Mutter ging mit ihr zum Arzt, um sie untersuchen zu lassen, und man verschrieb ihr Entzündungshemmer und Ruhe, ohne dass man eine Ursache feststellen konnte.

An einem Tag hatte sie rund um die Uhr gespielt; es war ein besonderer Tag für Tura gewesen, denn sie hatte sich darauf gefreut, ihre Freunde zu sich nach Hause einzuladen. Nun, als es Zeit war, aufzuhören, waren die Schmerzen zurück.

In diesem Moment fragte ich sie, ob sie diese Schmerzen wirklich loswerden wolle. Darauf antwortete sie, dass sie das wollte. Ich erklärte ihr, dass es unabhängig von der Ursache der Schmerzen, die durch den Sturz verursacht worden seien, noch etwas anderes gäbe, das uns bei ihrer Genesung helfen könne: Der Blick nach innen. Das war nichts Neues; wir hatten schon oft über das Innere des Menschen, über Gefühle und die Tatsache, dass Menschen Somatisierungen erleben, gesprochen.

Sie hörte sich ruhig und aufmerksam folgende Fragen an: Was ist mit deinem Fuß los, dass du nicht normal gehen kannst? Was ist da, dass die Art und Weise, wie du einen Schritt machst und die Welt (den Boden) berührst, unbequem und schmerzhaft ist? Was lässt dich nicht so gehen, wie du es möchtest?

Ich habe Tura erklärt, dass Babys zuerst gar nicht wissen, wie sie krabbeln sollen, dann krabbeln sie und dann beginnen sie zu laufen. Dies ist ein Teil des Lebens und des Wachstums. Auch Tura hat als Mensch und als Person schon vor langer Zeit laufen gelernt, aber trotzdem taucht von Zeit zu Zeit etwas auf, das sie daran hindert, sich normal zu bewegen.

Als Tura dann die Augen schloss und den Schmerz spürte, sah sie klar eine Quelle ihres Schmerzes: Es war ihre Klassenlehrerin, von der sie sich ungerecht behandelt fühlte, weil sie etwas tun musste, was sie als ungerecht empfand. Wenn sie zum Beispiel Aufgaben erledigt hatte, musste sie anderen, die langsamer waren, helfen. Oder als es Zeit war, nach Hause zu gehen, ließ die Lehrerin sie warten, bis alle zusammengepackt hatten, während Tura schon fertig und ihr Tisch aufgeräumt war. Dann tauchte ihre Mutter auf, die ihr nie Zöpfe erlaubte, die sie sich manchmal machte, wenn sie bei mir, ihrem Vater, war, oder wenn sie Tura dazu zwang, Kleidung zu tragen, die Tura nicht mochte… kurz gesagt, es kamen mehrere Situationen zur Sprache, aber alle bezogen sich darauf, wie Tura sein wollte und dass man sie eigentlich so oft nicht ließ.

Wir näherten uns dem Thema dann noch folgendermaßen: In Gesellschaft und Welt werden wir mit einer Reihe von Normen und Regeln konfrontiert, die wir vielleicht mögen oder auch nicht, und trotzdem müssen wir uns an sie halten. Zum Beispiel darf man nicht entgegen der Fahrtrichtung fahren, wenn man Auto fahren will oder man muss früher raus, wenn man nicht im Stau stehen will.

Wir sprachen darüber, wie wichtig es sei, bestimmte Dinge zu akzeptieren; dass Tura darauf warten müsse, dass ihre Lehrerin sie entließe, auch wenn es ungerecht sei, dass sie schon fertig sei und die anderen nicht. Aber dass dies etwas Vorübergehendes sei, und dass sie, auch wenn sie jetzt warten oder etwas tun müsse, was ihr nicht gefiele, sie nicht vergessen dürfe, dass sie, Tura, die Hauptperson ihres Lebens sei. Metaphorisch gesprochen habe ich ihr erklärt, dass das Leben ein Buch ist, in das eine Geschichte geschrieben wird, und dass der Stift, der schreibt, in ihrer Hand liegt: “Tura schreibt ihre Geschichte. Lass nicht zu, dass andere dir den Stift wegnehmen und für dich schreiben. Das heißt, dass Tura sich im Moment keine Zöpfe flechten braucht, weil sie weiß, dass man sie nicht lässt. Aber dass sie dann denken solle, dass es nur für jetzt sei, dass sie sich bald alle Zöpfe flechten könne, die sie wolle; aber wenn sie in ihrem Kopf Raum dafür ließe, wie ungerecht es sei, dass sie die Zöpfe, die sie wolle, nicht haben dürfe… dann habe sie den Stift an jemand anderen gegeben, und was in ihrem Buch stehen bleiben würde, wäre, dass man sie nicht die Frisur tragen ließe, die sie wolle.

Daraus entstand der Satz: „Ich bin Tura und ich mag Zöpfe, auch wenn man mich nicht lässt.Die heilende Kraft des WER BIN ICH. „Wer in mein Lebensbuch schreibt und wer den Stift hält, bin ich“. Und wir sprachen weiter darüber und wandten an, wer Tura in vielen Situationen sei, die ihr ungerecht erschienen. Dass es Dinge gäbe, die aus dem einen oder anderen Grund befolgt werden müssten, aber dass man sich nicht durch sie definieren oder mit ihnen identifizieren müsse. Seitdem hat Tura keine Beschwerden mehr und geht ganz normal – auf beiden Füssen.

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